barocke Malerei in Italien: Naturalismus und Illusion

barocke Malerei in Italien: Naturalismus und Illusion
barocke Malerei in Italien: Naturalismus und Illusion
 
Die europäische Malerei des Barock begann - wie die Architektur und Skulptur dieser Epoche, diesen gegenüber aber mit einem zeitlichen Vorsprung von etwa einem Jahrzehnt - in Rom. Hier suchte das im Zuge der Gegenreformation wiedererstarkte Papsttum - von Paul V. bis Alexander VII. - den Glanz zurückzugewinnen, der die nach der Antike verfallene Metropole einst ausgezeichnet hatte. Doch auch der Klerus - darunter besonders die neuen Orden, etwa die Jesuiten - vergaben im 17. Jahrhundert zahlreiche Aufträge für Bauten und deren Ausstattung. Geschmacksbildend wirkte überdies die 1593 gegründete »Accademia di San Luca«, eine einflussreiche Künstlervereinigung und Ausbildungsstätte. Dass im Barock zunächst Rom - und nicht mehr Florenz oder Venedig - das wichtigste kulturelle Zentrum Europas war, unterstreicht auch die Tatsache, dass sich hier nahezu alle bedeutenden italienischen und ausländischen Künstler der Zeit zu Studienzwecken aufhielten oder sich - wie Elsheimer, Poussin oder Lorrain - sogar auf Dauer niederließen.
 
Auch die Bahnbrecher des neuen, noch vor 1600 einsetzenden Stils waren zwei nach Rom zugezogene Künstler: zum einen Annibale Carracci aus Bologna, der sich von 1595 bis zu seinem Tod im Jahr 1609 in Rom aufhielt, zum anderen Michelangelo Merisi, bekannt unter dem Namen seiner bei Bergamo in Oberitalien gelegenen Geburtsstadt Caravaggio, der etwas früher als Annibale nach Rom gekommen war, von hier aber 1606 fliehen musste, weil er im Streit einen Malerkollegen erschlagen hatte; Caravaggio starb 1610 nach einem unsteten Wanderleben in Süditalien, Sizilien und Malta. Beide Maler setzten gegen die Kunst des späten Manierismus, die in artifizieller, nachahmender Äußerlichkeit eingetrocknet war, eine neue Lebendigkeit und Kraft - jedoch auf ganz unterschiedliche Weise.
 
Caravaggio entwickelte eine Hell-Dunkel-Malerei mit härtesten, unaufgelösten Kontrasten: Das Licht dringt in scharfer, künstlicher Ausleuchtung in tiefe Finsternis ein und holt so die Einzelheiten der Darstellung eindringlich, pointiert, grell heraus. Diese Beleuchtung, dargeboten zudem noch in distanzloser Nahsicht, führte im Figürlichen zu einem nie gesehenen Realismus, zu einer mit Händen greifbaren Direktheit, die keine Überhöhung ins Ideale kennt. Dementsprechend verwendete Caravaggio mit Vorliebe einfache, derbe Gestalten aus dem Volk, ja sogar »von der Straße«, bei mythologischen Bildern und bei Engeln auffallend häufig auch erotische Knaben von weicher, sinnlicher Leiblichkeit. Die Zeitgenossen waren angesichts dieser Bilder, die einer Sensation gleichkamen, begeistert und zugleich schockiert. Sie rühmten bei Caravaggio zwar die Naturnähe, doch tadelten gerade die Theoretiker die fehlende Würde bei der Wiedergabe heiliger Gestalten, den Mangel an »Decorum«. Als hohe Kunst galt Caravaggios Malerei deshalb nicht, zumal er nur Tafelbilder schuf, die in der damaligen Rangordnung etwas tiefer standen als Fresken. Doch man spürte in ihrem ungeschönten Naturalismus, ihrer Unmittelbarkeit, dem plakativen Hell-Dunkel wie überhaupt in dem radikalen Bruch mit jeder Norm sofort etwas Revolutionäres, und das entsprach auch Caravaggios heftigem, reizbarem Temperament und seiner geistigen Ungebundenheit, die ihn zu einem frühen Bohemien machte.
 
Auch Annibale Carracci, dessen Bruder Agostino und dessen Vetter Ludovico ebenfalls Maler waren, suchte einen neuen Weg für die Malerei. 1582 gründeten die Carracci eine private Kunstschule in Bologna - die »Scuola degli incamminati«, eine Art Akademie für Schüler, die »auf den rechten Weg gebracht werden sollten«. Als Grundlage des Unterrichts galt ihnen die klassische Kunst der Antike und der Hochrenaissance, das Natur- und Modellstudium sowie die damals gültige Kunsttheorie, welche die Vorherrschaft des »Disegno«, des zeichnerischen Entwurfs, propagierte. Doch erst in Rom fand Annibale endgültig zu seiner im Einzelnen durchaus realistischen, in der Grundtendenz aber ideal überhöhten Kunst, deren Gestalten von wuchtiger Kraft und beherrschtem heroischem Pathos sind. Ihre einfache, sofort überschaubare Komposition zielt auf einen hohen Stil, der nicht nur den Heiligen, sondern auch den Helden der antiken Mythologie angemessen ist. Selbst die Darstellung von Landschaft, die im 17. Jahrhundert ein eigener Zweig der Malerei wurde, bekam bei ihm etwas düster Heroisches.
 
Annibales Hauptwerk, die Deckenfresken der Galerie im Palazzo Farnese in Rom, zeigen einen Zyklus von Liebesabenteuern der olympischen Götter; dem Thema entsprechend, gesellt sich hier zur heroisch idealen Grundtendenz ein Zug des Heiteren, des freundlich Poetischen, auch des liebenswerten Humors. Diese mythologischen Geschichten sind einem kunstvollen Dekorationssystem eingefügt, das die Illusion hervorruft, als seien zwischen gebauter Architektur, Reliefs und nackten Statuen an der Decke gerahmte Tafelbilder befestigt. Obwohl diese »Quadri riportati« hinter die Tradition der untersichtigen, perspektivisch verkürzten Deckenmalerei zurückfallen, die Andrea Mantegna mit der 1474 vollendeten Ausmalung der »Camera degli sposi« in Mantua begründet hatte, zielte Annibale sichtlich darauf ab, der bewunderten Decke der Sixtinischen Kapelle Michelangelos, die für die Zeitgenossen den Höhepunkt jeglicher Kunst darstellte, etwas Neues und Eigenes entgegenzustellen. Dass sich Annibale in der Darstellung der Figuren darüber hinaus auch noch mit Raffael zu messen suchte, gab seiner Kunst von vornherein etwas Anspruchsvolles, Auserlesenes, Gebildetes. Spätere Zeiten wollten hierin abwertend eine Tendenz zum Eklektizismus sehen, wohingegen sie das schöpferisch Originäre bei Caravaggio zu finden glaubten.
 
Die unmittelbare Nachfolge der beiden Maler belegt, dass eine solche Spaltung in zwei Lager schon im 17. Jahrhundert bestand. Caravaggio bildete zwar keine Schüler aus, doch seine Kunst erregte auch noch nach seinem Tod höchstes Aufsehen und fand deshalb viele Nachahmer, etwa Bartolomeo Manfredi, Carlo Saraceni, Orazio Gentileschi und dessen Tochter Artemisia. Keiner von ihnen erlebte Caravaggio noch persönlich in Rom; sie studierten vielmehr seine Bilder und übten sich wie gebannt in ähnlichen Hell-Dunkel-Effekten. Diese Art der Malerei breitete sich bald wie eine Epidemie über weite Teile Europas aus. Sie ergriff in der Person von Georges de La Tour Frankreich genauso wie Spanien, vertreten durch Francisco Ribalta oder Francisco de Zurbarán; in den Niederlanden gab es in Utrecht um Abraham Bloemaert, Hendrick Terbrugghen und Gerard van Honthorst sogar eine regelrechte »Caravaggio-Kolonie«.
 
Die Familie der Carracci hingegen bildete die Schüler in Bologna beziehungsweise Rom selbst aus. Ihr Betätigungsfeld waren großformatige Altarbilder und Fresken, ausgeführt insbesondere an Decken und in Kuppeln von Kirchen. Von Bologna bis Neapel verbreitete sich die Kunst Annibale Carraccis allmählich zu einem die Zeit prägenden Stil, der jedoch von Anfang an in zwei verschiedene Richtungen unterteilt war: in eine bewegt-pathetische »barocke« und eine antikisch-beruhigte »klassische« Strömung, die beide immer mehr von der Hell-Dunkel-Malerei Caravaggios durchsetzt wurden. Die barocke Richtung hatte Rubens einiges zu verdanken, der sich im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zweimal für kurze Zeit in Rom aufgehalten hatte; zu ihr gehörten unter anderem Giovanni Lanfranco, der wie kein Zweiter die Ausmalung von Kuppeln mit einem figurenreichen Heiligenhimmel beherrschte, und der eher als Kolorist bedeutende Guercino, der Meister lichthaltiger, strahlender Blautöne. Die wichtigsten Vertreter der klassischen Richtung waren Domenichino, ein Maler nüchtern-sachlicher Historien, und vor allem Guido Reni, der den Ruhm der Schule von Bologna auf den Zenit führte.
 
Mit dem an der Kunst Raffaels orientierten Deckenfresko der »Aurora« im Palazzo Rospigliosi in Rom schuf Reni hinsichtlich Figurenerfindung, Farbe und Komposition das Programmbild der klassischen Richtung des Barock schlechthin. Andere mythologische Bilder von seiner Hand weisen eine seltsame, kalt-marmorne Erregtheit auf, die in der ausfahrenden Bewegung wie erstarrt wirkt und die Reni als angemessen für antike Stoffe ansah. In seinen Altarbildern aber steigerte er mit himmelnden, kalkbleichen Heiligengestalten die Inbrunst bis hart an die Grenze des religiösen Wahns. Diese bis ins 19. Jahrhundert bewunderten Bilder brachten Reni später in Verruf, was auch auf das sakrale Pathos der ganzen barocken Altarmalerei Italiens abfärbte. Hierzu gehörte als Sonderrichtung die Malerei Neapels, der Hauptstadt des im 17. Jahrhundert der spanischen Krone unterstellten Vizekönigreichs Neapel und Sizilien: In den Bildern von Mattia Preti oder Salvator Rosa sinkt das Hell-Dunkel Caravaggios ins fahl Düstere, gänzlich Unwirkliche ab, so als seien die Heiligen in die unterirdische Welt der Kerker und Folterkammern verbannt, in die nie ein Sonnenstrahl fällt. Charakteristisch hierfür sind auch die uralten, grell ausgeleuchteten Büßergestalten des Spaniers Jusepe de Ribera, der seit 1616 in Neapel lebte.
 
Ganz neue Perspektiven eröffneten sich der Barockmalerei in Rom seit etwa 1630 mit Pietro da Cortona, einem Universalkünstler, der nicht nur Maler und Architekt, sondern auch ein bedeutender Dekorateur war. Alle drei Gattungen verschmolz er in seinem riesigen Deckenfresko des Saals im Palazzo Barberini: Dessen aus vielen Einzelszenen bestehendes mythologisches Programm, welches das Haus Barberini verherrlicht, geht in einem einzigen Gesamtakkord auf, geordnet durch einen architektonisch-skulpturalen Rahmen mit Durchblicken auf den Himmel in der Mitte und die irdischen Gefilde am Rande der Decke. Cortona schuf hier das Urbild für die festliche, überall aus dem Vollen schöpfende, sinnenfreudig-schwelgerische Seite des Barock und für ungezählte andere profane Dekorationen von Festsälen, die den olympischen Götterhimmel als Garanten immer währenden Ruhms darstellen.
 
Das sakrale Gegenstück, das eine ähnliche Wirkung nach sich zog, gelang erst eine Generation später Giovanni Battista Gaulli, genannt Baciccio. Nach einem Entwurf Berninis schuf er am Gewölbe der Mutterkirche der Jesuiten, Il Gesù, ein raumüberspannendes Fresko, das die Verherrlichung des Namens Jesu durch die himmlischen Heerscharen und Heiligen zeigt. Das Bild ist eine einzige Lichtvision, ein rauschhaftes Strömen von Figurenmassen und fließenden Gewändern im dunstigen Lichtnebel auf Wolken. Zu diesem ins Orgiastische gehenden Licht- und Farbrausch lieferte wenig später der Maler und Mathematiker Andrea Pozzo einen wohlkalkulierten Gegenentwurf. An die Decke des Mittelschiffs von Sant' Ignazio, der zweiten Jesuitenkirche in Rom, zauberte Pozzo, ein Mitglied des Ordens, die verblüffende Illusion einer Architekturszenerie, die sich perspektivisch verkürzt. »Richtig« erscheint die Konstruktion dem Betrachter allerdings nur dann, wenn er in der Mitte des Langhauses steht; von hier aus ist die scheinräumliche Ausmalung ein virtuoses Kunststück, das sich aber - und das ist der Nachteil des Konzepts - immer mehr verzerrt, je weiter man sich von diesem Blickpunkt entfernt. Pozzos Perspektivkunst war berechenbar und deshalb erlernbar: Hierfür verfasste Pozzo einen Traktat, der für eine weite Verbreitung seiner Kunst sorgte. So stellten die Fresken von Baciccio und Pozzo die Gegenpole dar, zwischen denen sich die Deckenmalerei Europas entwickelte.
 
Ihren grandiosen Höhepunkt erreichte sie dann im 18. Jahrhundert mit der Kunst Giovanni Battista Tiepolos, dem es gelang, die Führung der Malerei noch einmal nach Venedig zu holen. Geschult durch Giovanni Battista Piazetta, wurde Tiepolo zum Meister des Lichts, das alle Farben zum Leuchten bringt und sogar das Weiß zu einer Buntfarbe erhebt. In Tiepolos Welt - einem wahren Paradies, aus dem alles Dunkle, Trübe verbannt ist - regiert einzig das Schöne in apollinischer Klarheit. Als Tiepolo 1750 nach Würzburg berufen wurde und dort in der von Balthasar Neumann erbauten Residenz das Treppenhaus und den Kaisersaal freskierte, war dies eine Sternstunde der Kunst. Mit dieser Leistung übertraf Tiepolo sich selbst und vielleicht sogar die gesamte Deckenmalerei des europäischen Barock.
 
Prof. Dr. Bernhard Schütz
 
 
Bauer, Hermann: Barock. Kunst einer Epoche. Berlin 1992.
 
Die Kunst des Barock. Architektur, Skulptur, Malerei, herausgegeben von Rolf Toman. Köln 1997.
 
Die Kunst des 17. Jahrhunderts, bearbeitet von Erich Hubala. Beiträge von Per Bjurström u. a. Sonderausgabe Berlin 1990.
 
Malerei des Barock, herausgegeben von Ingo F. Walther. Beiträge von Andreas Prater und Hermann Bauer. Köln u. a. 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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